Didaktische Vielfalt als Mittel zur Steigerung der Lern- und Lehrqualität in der Bauinformatik

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Motivation durch Abwechslung.
Der bunte Baukasten für Bauinformatiker.

Der Blick in den Hörsaal erweckt ein wenig den Eindruck, als wäre man im Kino: die vorderen Reihen sind leer, erst ab der Mitte füllen sich die Reihen. Es sieht so aus, als wären sich viele noch nicht sicher, was sie zu erwarten haben und erstmal einen gewissen Sicherheitsabstand suchen. Wenn man den Bauingenieurinnen und -ingenieuren im 3. Semester erzählt, warum sie sich in ihrem Studium mit Informatik befassen sollen, zeichnet sich bei einigen im Gesicht tiefe Skepsis ab. Auch wenn man in der heutigen Zeit nahezu überall damit in Berührung kommt, sind viele zunächst irritiert, warum Informatikkenntnisse für sie als angehende Ingenieurinnen und Ingenieure relevant sind. Wie man die Studierenden motiviert und warum zum Schluss viele sagen, dass sie die Relevanz nun doch verstanden haben, soll in diesem Artikel genauer erklärt werden.

Das erfahren Sie in diesem Artikel:

Wie Sie das Lernerlebnis verbessern, indem Sie vorhandene Materialien einfach anders verwenden

Natürlich sähe das zuvor beschriebene Szenario im Hörsaal in Zeiten der Corona-Pandemie noch einmal ein wenig anders aus: Anstatt eines Hörsaals voller Leute gibt es ein digitales Meeting zur Einführung ins Modul, in dem lediglich ein bis zwei Personen ihre Kamera angeschaltet haben. Das sind in der Regel der oder die Dozierende sowie die Mitarbeitenden des Fachgebiets. Der Rest des Bildschirms ist schwarz, selbst die Bezeichnungen der Teilnehmenden sind nicht zwangsläufig deren echte Namen. Umso wichtiger ist es in diesen Zeiten, allen das Gefühl zu geben, dass sie bei Problemen Gehör finden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, Struktur in einen Alltag zu bringen, der sich stark von dem Altbekannten unterscheidet. Je mehr Eigenverantwortlichkeit den Studierenden übertragen wird, umso genauer sollte auch der Zeitplan sein, in dem sie Aufgaben zu bearbeiten haben.

Bereits vor der Pandemie fand eine Umstrukturierung der vorhandenen Inhalte durch eine Anpassung an die heute geläufigen Medien wie Videos an. Dies wurde durch die Notwendigkeit, dass alle von Zuhause aus arbeiten mussten, noch einmal extrem verstärkt. Es wurde ein Plan erarbeitet, wie man bereits aufgearbeitete digitale Inhalte wie Quizze mit den quasi noch analog vorliegenden Unterlagen zusammenbringen kann. Der Schlüssel liegt aus unserer Sicht darin, die Inhalte, die zuvor in einer Gemeinschaft im Hörsaal zusammen erarbeitet wurden, in so kleine Pakete zu schnüren, dass sie jeder selbst erarbeiten kann. In einem nächsten Schritt soll auf diesem Fundament aufgebaut werden. Bevor dies jedoch geschieht, wird das selbst Erlernte festgeklopft. Nur wenn das Fundament verlässlich trägt, kann etwas darauf sicher stehen – um im Kontext des Bauingenieurwesens zu bleiben.

Es ist nicht zwangsläufig nötig, alle digitalen Errungenschaften, wie Videos oder Podcasts, erschöpfend für die digitalen Formate zu nutzen. Auch das Lesen eines Buchs bzw. Skripts kann einen guten Einstieg in ein Thema bieten. Man sollte dabei jedoch beachten, dass die Aufmerksamkeitsspanne vieler Leute in der heutigen Zeit relativ kurz ist. Je übersichtlicher also die Arbeitsschritte sind, umso höher schätzen wir die Chance ein, dass Studierende auch alles bearbeiten.

Konkret bedeutet das, dass die Inhalte der Vorlesung in kurzen Foliensätzen (meist weniger als 10 Folien) zum Selbststudium veröffentlicht werden. In diesen Folien werden Inhalte erklärt, Verweise aufs Skript gesetzt und kleine Aufgaben zum Nachdenken gestellt. Zur Durcharbeitung dieser Unterlagen seitens der Studierenden wird in der Regel eine Woche Zeit eingeplant. In einer digitalen Live-Veranstaltung werden die Inhalte dann besprochen und anhand von Beispielaufgaben demonstriert. Es wird jeweils vorab eindeutig angegeben, welche Inhalte für welchen Termin der Veranstaltung relevant sind.

Als zentrale Plattform wurde das ISIS-System der TU Berlin genutzt, welches auf der Lernplattform Moodle basiert. Auch wenn bereits viele Funktionen eingebettet sind, war es aus unserer Sicht wichtig, die Inhalte gut strukturiert zu präsentieren. Aus diesem Grund wurde für das Sommersemester ab April 2020 ein eigenes Farbschema im ISIS-Kurs eingeführt. Dieses sollte die Studierenden dabei unterstützen, wo die Inhalte für welche Veranstaltung lagen. Dies ist sinnvoll, da es quasi zu einem „Überangebot“ an digitalen Inhalten kam. Die Vorlesungen bestanden nicht mehr nur aus kurzen Foliensätzen, es gab zusätzlich Aufgaben und Lösungen zur eigenen Bearbeitung. Für die Übungen wurde nicht nur Aufgaben und Lösungen zur Verfügung gestellt, sondern auch Videos als Ersatz zur Präsenzveranstaltung (genaueres dazu folgt etwas später). Um hier nicht den Überblick zu verlieren, wurde das Farbschema eingeführt, dargestellt in Abbildung 1.

Abbildung 1: Farbschema in ISIS

Unterschieden werden vier verschiedene Bereiche: Vorlesung (gelb), Übungen (blau), Praktika (grün) und Prüfungselemente wie Hausaufgaben (rosa). Alle Unterlagen für die jeweilige Veranstaltung in der Woche sind in diesen Bereichen verlinkt. Für das Wintersemester wurde das Farbschema um einen farbigen Rand erweitert. An diesem ist zu erkennen, ob es sich um eine Selbststudiums-Einheit handelt (blauer Rahmen) oder um eine Live-Veranstaltung (roter Rahmen).

Da Lernen alleine Zuhause schnell zu Frust führen kann, wenn Inhalte nicht verstanden werden, gibt es zusätzlich kleine Quizze, in denen die Studierenden ihr Wissen verfestigen können.  Dabei kann beliebig oft an solch einem Quiz teilgenommen werden. Die gegebene Antwort auf jede Frage kann unabhängig davon, ob bereits alle Fragen bearbeitet wurden, überprüft werden. So erhalten die Studierenden sofort ein Feedback. Weiterhin werden jede Woche offene Fragen zu aktuellen Themen oder zur Wiederholung vorgegeben. Anhand dieser Fragen sollen die Studierenden lernen, sich bzw. ihr Wissen selbst einzuschätzen. Dies sind in der Regel Fragen, die nicht genau eine richtige Antwort haben. Vielmehr geht es darum, ein Prinzip zu erklären oder anhand von eigenen Beispielen die Unterschiede zwischen zwei Konzepten zu verstehen. Dies kann beispielsweise die Erklärung des Unterschieds zwischen Vererbung und Schnittstellen in Java sein. Das Prinzip ist ähnlich, und meist gibt es kein allgemeines „Richtig“ oder „Falsch“, wann man welches Konzept verwendet. Wichtiger ist, dass die Studierenden erklären können, warum sie für ihr Beispiel das eine Konzept nutzen und nicht das andere. Sollten sie zu dem Ergebnis kommen, dass Inhalte noch nicht gänzlich verstanden wurden, können sie zu uns in eine wöchentliche offene Sprechstunde kommen. Die offenen Fragen sind dabei als Anregung zu sehen. Wir versuchen damit vorzugeben, welche Dinge man aus unserer Sicht zu diesem Zeitpunkt noch einmal hinterfragen sollte. Ein Konzept von jemandem erklärt zu bekommen ist noch einmal etwas Anderes, als selbst zu verstehen, wann bzw. wofür man es sinnvoll nutzen kann.

Für das Modul „Numerische Methoden im Bauingenieurwesen“ im Sommersemester wurden zusätzlich zu dem Wechsel aus Selbststudium und Live-Veranstaltung die Übungen als Videos zur Verfügung gestellt. Anstatt des Vorrechnens von Aufgaben im Hörsaal wurden jeweils etwa 20 min lange Videos online bereitgestellt, in denen die Aufgaben und deren Musterlösung besprochen wird. Der Vorteil für die Studierenden ist selbstverständlich die Möglichkeit, sich Erklärungen zu schwierigen Inhalten beliebig oft anhören zu können. Doch auch für die Lehrenden bietet sich der Vorteil, dass er oder sie einen besseren Überblick über gegebene Hinweise und Tipps zur Bearbeitung der Aufgaben hat. Es gibt Fragen, die immer wieder gestellt werden, aber in den Präsenz-Übungen bereits beantwortet wurden. In Präsenz- als auch in Live-Veranstaltungen passiert es schnell, dass etwas angesagt wird und es entweder nicht jeder mitbekommt oder zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht versteht. Mithilfe der Videos kann der oder die Lehrende sicherstellen, dass Studierende die vielleicht benötigten zusätzlichen Erklärungen bekommen, ohne das Inhalte immer wiederholt werden müssen oder im schlimmsten Fall untergehen.

Beim Erstellen der Videos achten wir darauf, dass Wissen kompakt und gut strukturiert zu vermitteln. Jedes Übungsvideo ist einem Thema zugeordnet. Die Themen wurden im Vorhinein in Selbststudiums- Einheiten und in einer oder sogar mehreren Sprechstunden behandelt. In der Übung werden die gelernten Konzepte anhand von Aufgaben angewendet. Die Länge von etwa 20 min soll dabei den Lernprozess unterstützen.  Ein Video mit der Dauer einer Präsenzveranstaltung von 90 min wäre nur schwer durchzuhalten. Je deutlicher abgegrenzt wird, welche Inhalte in welchem Teil des Videos behandelt werden, umso größer ist die Chance, dass Studierende von sich aus alles sorgfältig durcharbeiten. Sinnvoller ist es jedoch meist, lange Videos von Anfang an in mehrere kleinere Videos zu den einzelnen Themen aufzuteilen. Je präziser dabei angegeben wird, was behandelt wird, umso leichter fällt es allen Beteiligten, die benötigten Informationen zu finden.

Wie Sie Ihre Studierende durch Spaß an der Veranstaltung motivieren und ihren Kampfgeist aktivieren

Die Idee ist nicht neu, aber das Feedback der Studierenden zeigt, dass es gut ankommt: Auflockerung der Themen durch spielerische Elemente. Nicht jedes Thema eignet sich dazu, aber zumindest der Einstieg lässt sich meist mithilfe eines Quiz oder eines Spiels verfestigen. Plattformen wie Kahoot bieten den Lehrenden die Möglichkeit, gemeinsam mit den Studierenden das neue Wissen spielerisch zu untersuchen. Auch als Wiederholung oder als Vorbereitung auf Prüfungselemente kann es sehr motivieren sein, den Ehrgeiz in den Studierenden zu wecken. Dabei scheinen verschiedene Faktoren dieser sogenannten Audience Response Systeme von Vorteil zu sein:

  • Die Teilnahme ist anonym. Die Furcht vor einer Blamage ist dementsprechend klein.
  • Lehrende müssen teilweise komplizierte Inhalte soweit hinunterbrechen, dass sie sich für den geschlossenen Fragentyp dieser Systeme eignen. Dadurch wird das Wissen automatisch in kleineren Häppchen serviert.

Es entsteht, auf spielerischer Ebene, ein gewisses Konkurrenzdenken zwischen den Studierenden, das sie dazu motiviert, sich eingehender mit den Inhalten zu beschäftigen

Wie Sie durch einen Selbstbewusstseins- Booster den Studierenden ein besseres Gefühl für den Wert der eigenen Arbeit verleihen

Ein wichtiger Schritt im Lernprozess ist das Selbermachen. Erst, wenn man selbst in der Lage ist, eine Lösung für ein Problem zu entwickeln, hat man die Inhalte verstanden. Aber wie sieht das aus, wenn man noch einen Schritt weitergeht? Nach Selbermachen kommt selber bewerten. In eine Bewertung spielen verschiedene Dinge hinein. Sie kann auf Erfahrung basieren, aber auch auf Anwendung von neuem Wissen. Bei jeder Aufgabe, egal ob in der Vorlesung, Übung oder im Praktikum, werden die Studierenden dazu angehalten, ihre Lösungen zu bewerten. Dabei kann es sich um eine Plausibilisierung von berechneten Werten handeln, aber auch um die Umsetzung der Problemstellung in Quellcode.

Bei den ersten Prüfungsleistungen im Modul handelt es sich um bewertete Programmierhausaufgaben. Jede Studentin und jeder Student erhält für ihre Hausaufgaben ein individuelles Feedback. Dies ist zum einen wichtig, damit man aus den Fehlern auch lernen kann. Zum anderen spielt es eine Rolle für die kommende Hausaufgabe, die auf der vorherigen aufbaut. Als Grundlage dient dabei die Lösung der vorherigen Hausaufgabe. So sollen die Studierenden einen ersten Eindruck davon bekommen, wie es ist, in einem Projekt zu arbeiten. Wer am Anfang vielleicht unsauber arbeitet, dem kann das am Ende auf die Füße fallen. Anhand des detaillierten Feedbacks können grundlegende Fehler zunächst beseitigt werden. Gleichzeitig bekommen die Studierenden ein Gefühl dafür, wie sinnvoll die von ihnen erarbeiteten Lösungen sind, jetzt, wo sie sie weiterentwickeln müssen. Das Ziel dabei ist, dass die Studierenden nicht nur neue Dinge lernen, sondern auch besser in der Lage sind, ihre eigenen Leistungen einzuschätzen. Meist ist eine Einschätzung der eigenen Arbeit nicht so leicht möglich. Durch das kontinuierliche Arbeiten mit eigenen Lösungen sollen die Studierenden über die Zeit dazulernen und bemerken, was sie vielleicht zu Beginn nicht ganz sinnvoll umgesetzt haben. Das von uns gegebene Feedback bezieht sich lediglich auf tatsächliche Fehler, die gemacht wurden. Aber wie das häufig ist im Leben, führt nicht nur der eine Weg zum Ziel. Vielleicht wurde ein unnötig komplizierter Weg gegangen, der das Weiterarbeiten jetzt erschwert. Im schlimmsten Fall kann es passieren, dass die zuvor entwickelte Lösung gar nicht mehr passt. In diesen Fällen muss nachjustiert werden, was aufgrund des mittlerweile größeren Erfahrungsschatzes möglich ist. Durch Hinzulernen und Ausprobieren fällt es den Studierenden meist leichter, ihre eigene Arbeit jetzt einzuschätzen.

Und das hat alles so funktioniert?

Das Feedback der Studierenden war sehr positiv. Ein wichtiger Punkt, den viele angesprochen haben, ist die Verlässlichkeit. Vor allem im Zeiten der komplett digitalen Lehre war es wichtig, als Ansprechpartner präsent zu sein. Das beinhaltet neben regelmäßigen Live-Terminen mit den Studierenden auch eine zügige Rückmeldung auf Fragen und Probleme. Auf die Frage, ob die Relevanz der behandelten Themen deutlich geworden ist, haben über 90 % gesagt, dass dies der Fall ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine engere Betreuung bei gleichzeitig größeren Freiheiten in der zeitlichen Planung für die Studierenden zu einem runden Ergebnis geführt hat. Auch wenn der Aufwand durch eine nähere Betreuung größer wird, ist sie gemeinsam mit den vorgestellten Konzepten aus unserer Sicht ein Schlüssel zu effektiver Lehre.

Fachgebiet Bauinformatik

Leitende*r:

Prof. Dr. Wolfgang Huhnt
Sekretariat TIB1-B8
Gustav-Meyer-Allee 25
13355 Berlin
wolfgang.huhnt@tu-berlin.de

Projektbeteiligte:

Prof. Dr. Wolfgang Huhnt
M. Sc. Laura Böger