Energiesystemeplus

Blended learning

Energiesystemeplus
Studierende unter Strom

„Hauptursachen für die Unverständlichkeit der vermittelten Inhalte und das Desinteresse der Studierenden liegen in schlechten Vorbereitungsunterlagen  (55%), schlechter Organisation (14%) und schlechtem Zeitmanagement (11%)“ – Evaluationsergebnis WiSe 16/17 (44/49 Angaben)

„Gute Lehre“ wird heutzutage immer noch gerne an einem erfolgreichen Abschluss und guten Noten gemessen. Vermutlich ist dieser Ansatz auch nicht falsch – wie man allerdings dahin gelangt, kann sehr unterschiedlich sein. Folglich muss nicht jeder Weg, der zum Erfolg führt, grundlegend „gute Lehre“ bedeuten.

Wie der obige Auszug aus dem Evaluationsergebnis zeigt, lagen die Probleme in unserem Fall weniger an der Komplexität der Themengebiete als vielmehr an den äußeren Umständen. Hier sahen wir den größten Optimierungsbedarf für nachhaltige Lehre bei hoher Qualität, um die Studierenden dabei zu  unterstützen, durch Eigenmotivation den Abschluss meistern.

Insgesamt sollte die Lehrveranstaltung so umstrukturiert werden, dass der Zugang zu Themenkomplexen erleichtert wird, die Vorlesungen und Übungen  anschaulicher und interessanter werden und zum anderen die Studierenden in den drei Veranstaltungsteilen besser beteiligt und betreut werden. Die Forderung nach besseren äußeren Umständen und Überarbeitung der Vorbereitungsunterlagen führten uns zum Blended-Learning-Konzept. Alle Änderungen wurden sowohl von den jeweiligen Fachgebietsleitungen begleitet und mit ihnen abgestimmt. Auch die beiden WiMis, die bereits an Übung und Praktikum beteiligt waren, wurden gezielt mit eingebunden.

Das erfahren Sie in diesem Artikel:

Vorlesung: moderner Schaukasten, Versuchsdemos, LernApp

Anfänglich standen wir vor dem Scherbenhaufen, dass wir eine Pflichtveranstaltung, die schon zur Diplomzeit angeboten wurde, völlig neu konzipieren und  die an die Zeit angepassten neuen Inhalte in Einklang mit den alten beziehungsweise verbliebenden Inhalten bringen mussten. Dafür wurde das interne Corporate Design entwickelt. Neben optischen Punkten (bspw. Farbdesign und Folienmaster nach TU-Berlin Corporate Design, wichtige Formeln rot unterlegt, einheitliche Deklarationen und Symbole) wurde ein Schaubild (Abbildung 1) entwickelt, dass als Roter Faden die sechs in sich geschlossenen Themenkomplexe verknüpft und die Studierenden während der gesamten Veranstaltung begleitet.

Abbildung 1: Schaubild Elektrische Energiesysteme.

Für die einzelnen Unterpunkte werden die entsprechenden Einzelbilder (visual keys) verwendet, um den Studierenden eine Orientierungshilfe zu geben, in welchem Themenkomplex sie sich befinden und somit das Verständnis des Fachs im Allgemeinen zu verbessern. Eine weitere Idee war, ein modulares Schaukastensystem (Live-Demonstration) in der Vorlesung als visuelle und praxisbezogene Lehrunterstützung einzusetzen. Jenes sollte dem Schaubild nachempfunden sein. Damit sollte den Studierenden die einzelnen, meist komplexen Themengebiete veranschaulicht und am Ende der Veranstaltung der übergeordneten Sinn der einzelnen Themenkomplexe in einem Gesamtsystem aufgezeigt werden. Weiterhin sollten die Systeme eine bessere Vorbereitung auf das Praktikum bieten, ganz nach dem Motto „Bekanntes mit Bekanntem umsetzen“ und somit den befremdlichen Inhalten einen Praxisbezug geben. Außerdem sollten die 90-Minuten Vorträge der Dozenten aufgelockert und somit die Aufnahmefähigkeit der Studierenden verbessert werden. Der  sogenannte rote Faden, der oberste Priorität bei der Umgestaltung hat, sollte so zusätzlich unterstrichen und symbolisiert werden. Im Laufe der Konzeptionierung mussten wir diese Idee leider verwerfen, auch wenn wir sie immer noch didaktisch für sehr sinnvoll erachten:

Nach langen Diskussionen, Überlegungen und Gedankenexperimenten waren wir zu dem Schluss gekommen, dass das modulare  Schaukastensystem innerhalb des Zeitrahmens nicht zufriedenstellend umsetzbar ist. Neben den Schwierigkeiten der didaktischen und  technischen Umsetzung war auch die technische Ausstattung der Hörsäle ein großes Hindernis. Um die Sachverhalte anschaulich für alle Studierenden zu präsentieren, würden wir ein Kamerasystem mit Beamerübertragung benötigen, was nicht zwangsläufig gewährleistet ist. Weiterhin haben wir die Versuchsdauer virtuell simuliert und sind auf 20-30 Minuten gekommen, was bedeuten würde, dass inhaltliche Aspekte der Lehrveranstaltung dafür weichen müssten. Der Mehrwert dieses Elementes wurde nach Rücksprache mit einigen Studierenden als  zweifelhaft identifiziert. Anstelle der Live-Demonstration während der Vorlesung wurden dafür die Praktikumsversuche nochmals überprüft  und neue Konzepte entwickelt, um die Theorie mit der Praxis besser anschaulich zu gestalten.

Hieraus folgen drei neu-konzeptionierte Praktika. Außerdem wurde die Idee der Demonstratoren in ein virtuelles Szenario überführt, was schlussendlich in der Entwicklung einer LernApp und eines virtuellen Praktikums mit Videos mündete.

Übung: Neustrukturierung und zusätzliche Basicübung

Der schon angesprochene rote Faden sollte sich auch in der Übung wiederspiegeln, sodass dort eine stärkere Verkettung zwischen Vorlesung und Übung erzielt wird. Dazu wurden die Übungsaufgaben überarbeitet. Bei jeder Aufgabe wurde zunächst ein Lernziel definiert und die Aufgaben darauf ausgerichtet. Lernziele zu definieren, hat sich als gute Methode bewiesen, da damit nicht nur die Transparenz der Veranstaltung steigt, sondern auch die eigenen  Vorstellungen nochmal einer Revision unterzogen werden. Außerdem wurden weitere Aufgaben in Form einer Sammlung erstellt, die für die Studierenden im Selbststudium über die Plattform ISIS zur Unterstützung und Vorbereitung auf die Prüfung zur Verfügung stehen. Zusätzlich wurde aufgrund der  Rückmeldung aus den Evaluationen, dass mehr Übungen hilfreich seien könnten, eine zweite freiwillige Präsenzübung (Basic) zu jedem Themenkomplex  geschaffen. Diese sollte nochmals die Bezüge zwischen den Grundlagen aus vergangenen Semestern und den Themen der Vorlesung verdeutlichen. Hier saß anfänglich der Teufel im Detail, da wir die Grundlagen von den Inhalte nicht stringent trennen konnten. So waren die Inhalte der Basic Übung für viele  Studierende gar nicht so einfach. Dies mündete darin, dass die Basic Übung zur gefühlten Pflichtübung unter den Studierenden wurde. Hier war die Methode der Stoffreduktion hilfreich, mit der wir gezielt Themen streichen konnten, um wirkliche Grundlagen in der Basic Übung zu vermitteln. Die eigentliche Übung waren entsprechend auf Klausur Niveau (Lernziele) angesiedelt. Am Ende hatten wir nach viel Arbeit das, was wir wollten: besser strukturierte und auf  Lernziele bezogene Übungen auf Klausurniveau und zusätzliche freiwillige Basic-Übungen.

Prüfung: Einführung einer Portfolioprüfung

Der größte Bruch zur alten Veranstaltung wurde durch die Umgestaltung des Prüfungsformats von einer schriftlichen Klausur zur Portfolioprüfung vollzogen. Im Rahmen der Verbesserung der Studierbarkeit und Motivation wollten wir die zusätzliche Arbeit im Praktikum honorieren. Dieser Beweggrund führte uns dazu, auf Portfolio umzustellen. Unsere Verteilung der Punkte wurde wie folgt umgesetzt:

Punkteverteilung:

  • Eingangstest Praktikum (ISIS/online/10 min.) -> 4 %
  • Protokolle Praktikum (schriftlich max. 8 Seiten) -> 16 %
  • 1. Test (Leistungselektronik, Batterie, Magnetischer Kreis) -> 40 %
  • 2. Test (Gleichstrommaschine, Drehstrom, Transformator) -> 40%

Unser Schwerpunkt liegt zwar noch klar erkennbar auf den schriftlichen Leistungsabfragen, dennoch kann durch kontinuierliche Arbeit und Fleiß der Druck der Prüfung abgeschwächt werden. Weiterhin haben wir durch zwei Tests das Lernpensum zum Ende hin entzerrt und fördern somit das kontinuierliche Lernen.

Ursprünglich lag die Gewichtung bei 12% beim Eingangstest und 8% bei den Protokollen. Hier kritisierten die Studierenden, dass die Protokolle mit einem größeren Aufwand einhergehen und entsprechend stärker gewichtet werden sollten, obwohl die Benotung der Eingangstest deutlich besser ausfiel. – siehe Best Practice Beispiel „Flipped Classroom“ auf Seite 111.

Fazit

Die Beobachtungen haben gezeigt, dass es sich lohnt einen Scherbenhaufen mit den richtigen Werkzeugen und Methoden in etwas Neues zu verwandeln. Die Verteilung des Workloads auf das gesamte Semester in Kombination mit der Gewichtung der Praktika und Eingangstests führte zu einer Reduzierung der Durchfallquote von 40% (WiSe 2016/17) auf schlussendlich 20% (WiSe 2019/20). Die Evaluationsergebnisse waren hingegen etwas konfus. Im WiSe 16/17 war zu Projektstart ein signifikanter Umbruch erkennbar. Hier hatten wir unmittelbar mit dem Corporate Design und den neuen Inhalten in Vorlesung und Übung angefangen, was sich in verbesserten Werten auf allen Ebenen (Motivation, …) zeigte. In den folgenden Evaluationen sind trotz vielen Veränderungen die Evaluationsergebnisse auf fakultätsebene gleichgeblieben bzw. haben sich sogar in einzelnen Punkten verschlechtert, blieben jedoch stets besser als im WiSe 2015/16.

Lediglich im letzten Turnus (WiSe 2019/20) konnten wir auf allen Ebenen (Motivierung, Verständlichkeit, Vorlesungsstil, Medieneinsatz, Übungsaufgaben, Übungsleitung, Aktive Beteiligung, Skript/Buch-Beurteilung) wieder eine positivere Beurteilung verzeichnen. Wir denken, dass dieses Ergebnis daher kommt, dass „neue“ Studierende selten den vorherigen Zustand einer Lehrveranstaltung kennen. Unsere Vermutung basiert darauf, dass der anfängliche Umbruch unmittelbar im Semester spürbar war. Das Endergebnis vermuten wir, liegt schon eher in der kontinuierlichen Verbesserung der Lehrveranstaltung, die zwischenzeitlich auch Rückschlägen unterlag (vgl. Drawbacks).

Da wir der fakultätsbezogenen summativen Evaluation schon anfänglich kritisch gegenüberstanden, haben wir zusätzlich formativ in der Übung und  summativ durch einen eigenen Online-Fragebogen, der nun auch Praktikum und die Organisation abdeckt, evaluiert. Ein interessantes Ergebnis lieferte die formative Evaluation innerhalb der Übung, die sich auf den Wissensstand der Studierenden bezog.

Aus der Auswertung war erkennbar, dass nach Selbsteinschätzung fast alle Studierenden die Grundlagen der Elektrotechnik, (1. & 2. Semester) wie das Aufstellen von Knoten- und Maschengleichungen, beherrschen. Weiterhin sind auch die Punkte, die in der Vorlesung diskutiert wurden,  wie der Aufbau einer elektrochemischen Zelle als auch die Vor- und Nachteile einer Lithium-Ionen-Batterie, als sicher eingestuft worden. In den anderen Themengebieten lag die Selbsteinschätzung eher bei 50%.

Das Ergebnis war dahingehend ziemlich überraschend, dass alle Fragen bereits schon disktutierte Inhalte der Übung waren und auch vorgerechnet wurden. Lediglich die Themengebiete, die sowohl deckungsgleich mit der Vorlesung oder den vorherigen Semestern waren, wurden als fundiert eingestuft.  Weiterhin zeigte die Evaluation, dass die Übungen offensichtlich zu diesem Zeitpunkt von ca. 50% der Befragten noch nicht nachgearbeitet wurden oder die Selbsteinschätzung der Befragten sehr niedrig war.

Diesen Trend während des Semesters zu kennen, ermöglichte uns, die darauffolgenden Übungen gezielt anzupassen und wichtige Sachverhalte nochmal detaillierter zu erläutern oder zusätzliche Sprechstunden anzubieten. Auch half diese Statistik, den Lernfortschritt der Studierenden zu erfahren und die eigene didaktische Kompetenz kritisch zu hinterfragen.

Drawbacks

„Aus Fehlern lernt man!“ getreu diesem Motto, möchten wir ein paar Probleme ansprechen, die wir als wichtigen Lernprozess zwischen Vorstellung und Umsetzung identifiziert haben.

Mit dem Corporate Design und den online Eingangstests war uns auch ganz klar, dass der ISIS Kurs überarbeitet werden muss. Hier haben wir sehr  zeitaufwendig mit Symbolen, Aktivitätsbedingungen, neuen Strukturen, Foren und viel Material einen neuen Kurs implementiert. Das Ergebnis war, dass die Studierenden mit der Fülle, den zeitlich-verknüpften Bedingungen und Kursabschlusszielen überfordert waren. Der Kurs war einfach zu „aufgebläht“ und es hat sich gezeigt, dass weniger oft mehr ist.

Innerhalb der Laufzeit des Projekts haben wir von der Fakultät intern eine Anfrage erhalten, ob wir nicht ein Programmierpraktikum für Informatiker anbieten können. Wir haben sofort an unsere LernApp für Energiesystemeplus gedacht. Wir haben ein Konzept erarbeitet, indem wir als Rollenspiel die Kunden repräsentieren und die Studierenden ein Softwareunternehmen darstellen. Unser Auftrag lautete: entwerft kleine Playables im Bereich  Energiesysteme. Problematisch war allerdings, dass die Studierenden zwar schon Programmierkenntnisse aufwiesen, allerdings von Elektrotechnik bzw. Energiesystemen keine Ahnung hatten. Das Rollenspiel endete folglich sehr schnell, da die B2B-Meetings in Mikro-Vorlesungen zu Energiesysteme mutierten. Die Lösung war den Inhalt von der Implementation zu trennen und allgemein benutzbare Komponenten zu programmieren (Graphen Plotter mit Slider, Puzzle Generator, Quizduell, Bildvergleich etc.)

Da die Qualität der Lehre nach unserer Auffassung auch stark vom Personal abhängt, haben wir im ersten Turnus umfangreiche Hospitationen bei den Tutoren durchgeführt. Auch wurden die Tutoren neben den inhaltlichen Aspekten für das Flipped-Classroom-Modell geschult. Die Maßnahmen waren unmittelbar positiv in den Evaluationen abgebildet. Da die Tutoren jedoch jedes Jahr aus einem Pool neubesetzt werden, ist eine solche Schulung in jedem Turnus nötig. Da die Schulungen und Hospitationen und der damit verbundene zusätzliche Zeitaufwand aus dem Personal des Projekts gestemmt wurde, ist die Maßnahme zwar sehr sinnvoll aber unrealistisch für die Weiterführung nach Projektende. Hier müssen nachhaltige Konzepte auf hochschulpolitischer Ebene geschaffen werden.

Die didaktische Überarbeitung des Praktikums mündete ebenso in eine inhaltliche als auch hardwaretechnische Neukonzeptionierung der Versuche. Es war erstaunlich, wie gut sich Studierende eignen, um eigene Schwachstellen innerhalb seiner Konstruktion aufzuzeigen. So wurde der Hardwareaufbau des Tiefsetzstellers zu einem Dauerthema und zu jedem Turnus verändert. Denn niemand von uns wollte wirklich Studierende unter Strom.

Fachgebiet Elektrische Energiespeichertechnik

Leitende*r:

Prof. Dr.-Ing. Julia Kowal
Einsteinufer 11
Sekretariat EMH 2
10587 Berlin
julia.kowal@tu-berlin.de

Projektbeteiligte:

Prof. Dr.-Ing. Julia Kowal
M. Sc. Robert Franke-Lang
Prof. Dr. Uwe Schäfer